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Lieber Verfassungsschutz, wer hat hier wen verraten?

Es ist kein einfaches Jahr für die Deutsche Presselandschaft und ihre Journalisten. Zum Jahreswechsel waren sie die Lügenpresse, die das System verteidigt, und als Systemmedien bezeichnet wurde; und nun sind sie Landesverräter. Diesen Vorwurf erhebt der Generalbundesanwalt Range auf Initiative des Chefs des Verfassungsschutzes Maaßen.

Die Anklage nach Paragraph 94 des Strafgesetzbuches trifft netzpolitik.org. Ihr wird vorgeworfen geheime Dokumente veröffentlicht zu haben. Nach der Spiegel-Affäre 1962 wird nun erneut von staatlicher Seite versucht, unliebsame Berichterstattung zum Schweigen zu bringen. Nun kann man es für richtig oder falsch halten, dass diese Dokumente veröffentlicht und für die Berichterstattung genutzt worden sind. Allerdings muss der sich Generalbundesanwalt Range die Frage gefallen lassen, warum es kein übergeordnetes Interesse an den weiteren Ermittlungen gegen die NSA gab, warum der Verfassungsschutz zum im Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) aktiv mitmischen und im Nachgang Akten vernichten konnte – was natürlich weiterhin die Frage am Leben hält, welche Rolle der Verfassungsschutz in den NSU-Aktivitäten spielte – nun aber Anklage gegen Blogger von netzpolitik.org wegen Landesverrats erhoben wird.

Doch was steckt hinter diesem Handeln? Es ist die Vision eines fehlerfreien Law-and-Order-Staates, der innenpolitische Opposition und individuelle Freiheit als Bedrohung und nicht als Entwicklungschance der Demokratie sieht. Das kann neben den oben genannten Beispielen auch anhand der Vorratsdatenspeicherung und auch an der Ablehnung eines Whistleblower-Schutzgesetzes nachvollzogen werden.

Hinter all diesem Handeln steht eine zentrale Frage: Führt der Staat ein Eigenleben oder ist es politischer Wille? Fast alle Antworten auf diese Frage sorgen für arge Bauchschmerzen.

Wenn es politischer Wille war, so steht die Frage im Raum: Widersprachen die Minister Maas und de Maiziere dem Vorhaben von Range und Maaßen nur nicht oder haben sie sogar grünes Licht für das Verfahren wegen Landesverrats gegeben? Wenn dem so sein sollte, dann ist dies ein erneutes Indiz dafür, dass die Kanzlerin ihr Kabinett nicht mehr im Griff hat. Zu einem Europagefährdenden Finanzminister gesellten sich dann zwei Minister, deren Vorgehen gegen die Pressefreiheit seit fast 50 Jahren beispiellos wäre. Wenn diese Sache nicht zur Kanzlersache gereichen soll muss Merkel politische Konsequenzen einleiten und das Verfahren stoppen.

Doch auch wenn hinter der Anzeige kein politischer Wille steht, dann bleibt immer noch die Frage zu beantworten, ob der Staat ein Eigenleben führt und damit die Freiheit der Presse und der Bürgerinnen und Bürger bedroht. Am Beispiel des Deutschen Verfassungsschutzes lässt sich erkennen wie wenig Einblick und Kontrolle selbst Parlamentariern gegeben wird. Im Bundestag gibt es zwar das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG), in dem aber sitzen nur 9 von 631 Bundestagsabgeordneten. Die Abgeordneten die allerdings in diesem Rat sitzen, müssen jedoch über die Belange des PKG schweigen. Wie viel Kontrolle ist da denn wirklich möglich? Sie ist nicht der Rede wert.

Wie nötig die Kontrolle jedoch wäre zeigt wie exzessiv der Verfassungsschutz im Nationalsozialistischen Untergrund mitgewirkt hat und später seine eigenen Spuren verwischte.

Es wirkt alles so perfide. Eine Institution, die ihre Bürgerinnen und Bürger und ihre Verfassung schützen soll, macht gemeinsame Sache mit Extremisten. Der Verfassungsschutz, der so agiert, erhält und schützt nur sich selbst, nicht aber die Demokratie, Freiheit und sein Land. Wer betreibt hier also Landesverrat, lieber Verfassungsschutz?

Es ist dieses Handeln von Politik und Staat, das dazu führt, dass die Medienlandschaft aber auch Bürgerinnen und Bürger einem allmächtigen Staat gegenüber stehen: Widerspruch? Nicht nur unerwünscht, sondern illegal.

Egal welches der beiden Szenarien der Wirklichkeit am nächsten steht: Es zeigt wie wichtig die Pressefreiheit und der Quellenschutz für unser Land sind. Ohne viele mutige Journalistinnen und Journalisten, die tagtäglich durch ihre Arbeit dazu beitragen, dass die Wahrheit zu Tage tritt, dass wir Bürgerinnen und Bürger die Dinge nachvollziehen können und verstehen, wäre unser Staat aus Sicht der Presse- und Meinungsfreiheit ein kleines Russland.

Lassen wir es nicht soweit kommen. #niewieder62


Foto von niezwyciezony